Chemo bei Brustkrebs schwer unter Kritik

Routinemäßige adjuvante Chemotherapie bei Brustkrebs schwer unter Kritik

In einer unlängst erschienenen Ausgabe des „New England Journal of Medicine“, die bis dato in deutschsprachigen Magazinen so gut wie nicht rezipiert wurde, kommen Forscher zu einem überaus erstaunlichen Resultat.

Sie wollen gezeigt haben, dass bei der deutlichen Mehrzahl von Brustkrebspatientinnen Chemotherapie mit so gut wie keinem oder absolut keinem Nutzen zusätzlich zur üblichen adjuvanten endokrinen Behandlung erfolgt.
Hier wird mittels eines sogenannten „21 gene assays“ prognostisch vorgegangen, das heißt, es ist heutzutage möglich, an 21 sogenannten Genorten bestimmte Sequenzen in der DNA zu untersuchen, die bei gesunden und krebskranken Personen im betroffenen Gewebe unterschiedlich sind.
Es wird daraus eine Skala von 0 bis 100 gebildet, wobei Frauen mit einem Wert  unter 10 oder jedenfalls einem niedrigen Wert ein überaus geringes Risiko einer Fernmetastasierung aufweisen und also von einer Chemotherapie sicher überhaupt nicht profitieren, wohingegen Frauen mit einem hohen Score eine deutliche Gefährdung für einen Rückfall tragen müssen (die Gruppe geht einmal davon aus, dass bei diesen Patientinnen eine Chemotherapie einen Nutzen stiften könnte).
Tatsächlich werde heutzutage nahezu jeder Patientin eine adjuvante Chemotherapie (Chemotherapie zur Verhütung von Fernmetastasen nach meist operativem Eingriff an der Brust oder Bestrahlung) angeboten; dass die selbstständige Entscheidungskraft der betroffenen Frauen oft nicht zuletzt aufgrund der enormen Eile, die üblicherweise an den Tag gelegt wird, sich kaum an anderen Faktoren als jenem, dass eine chemotherapeutische Behandlung eben üblich sei, ausrichten kann, darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Nun wurden nahezu 7000 Patientinnen mit einem mittleren Risiko untersucht und die 5- bzw. 9-Jahre-Überlebenskurven miteinander verglichen.
Hier zeigte sich, dass eine rein endokrine Behandlung gegenüber einer Chemotherapie und endokrinen Behandlung keinen Überlebensnachteil nach sich zog, die Chemotherapie wird in diesen Fällen also ohne Nutzen verabreicht, die Nebenwirkungen unter Umständen bis hin zu Induktion von Zweittumoren werden in dieser Arbeit nicht besprochen.
Bei Rekrutierung von Patientinnen mit einem  Score unter 25 (der Score reicht bekanntlich bis 100) – das ist die deutliche Mehrheit der Patientinnen – konnte kein Behandlungseffekt nachgewiesen werden. Der histologische Subtyp, der hier betrachtet wurde, ist der deutlich häufigste Typ von Brustkrebs.
Wenn in einem dermaßen hochgradig der universitären bzw. Schulmedizin verpflichteten Journal wie dem New England Journal of Medi-
cine eine solche Arbeit erscheint, darf davon ausgegangen werden, dass sorgfältigst auf Fehler geachtet wurde.
Die Arbeitsgruppe besteht aus Forschern an führenden Universitätskliniken in den gesamten USA . . . Man darf gespannt sein, wie weit diese doch außerordentlich überraschenden Einsichten unwidersprochen bleiben, sich auf die tatsächliche Behandlungsrealität der Patientinnen auswirken, auch in Europa rezipiert werden und man darf sich fragen, ob Ähnliches nicht auch bei zahlreichen anderen Krebsarten zu befürchten steht, wo erfahrene Ärzte schon aus ihrer persönlichen, langjährigen Begleitung von Patienten heraus oft ahnen, dass Chemotherapie in weitaus mehr Fällen zur Anwendung gebracht wird, als dies auch unter grundsätzlich schulmedizinischer Sicht notwendig wäre.
Erfreulich ist immerhin, dass eine so kritische Arbeit über einen derartig enormen Anteil von Brustkrebsfällen – letztlich die häufigste Tumorerkrankung der Frau – in einem führenden amerikanischen Journal publiziert werden darf; eine gewisse Selbstregulation der medizinischen Profession scheint also doch immer wieder einmal Platz zu greifen.

Dr. Kurt Usar